Zukunftsstadt: Von "Mind-Expandern" und Luft-Architektur

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Haus-Rucker-Co, Flyhead; credit: Haus-Rucker-Co

"Wir bauen eine neue Stadt", sang die New-Wave-Band Palais Schaumburg 1982. Doch wie sieht sie aus, die Stadt von morgen? Im Rahmen der #rp15-Subkonferenz "Zukunftsstadt" in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsjahr 2015 stellen wir in den kommenden Wochen erste Themenbereiche vor.

Zukunftsstadt – dieser Themenkomplex beschäftigt sich inhärent mit dem Leben in der Stadt der Zukunft. Doch bei allem Heutigen und dem, was kommt, gibt es immer das Element des Vergangenen. Es ist die Basis, auf die wir stetig aufbauen und durch die die Jetztzeit geprägt ist. Von der Antike bis zur Moderne hat die Stadt verschiedene Entwicklungen hinter sich. So übernahm etwa das Bauhaus eine prägende Rolle bei der gestalterischen und architektonischen Antwort auf die Herausforderungen der Industrialisierung.

Die #rp15-Sub-Konferenz zum Wissenschaftsjahr Zukunftsstadt verschreibt sich mit ihren Handlungsfeldern unter anderem der künstlerischen und genealogischen Exploration nachhaltiger Architekturansätze, die sich nicht gewaltsam in die Umgebung hineindrängen. Es geht um einen organischen Dialog, der alle potenziellen Stadtakteure berücksichtigt: Bewohner, Flaneure und die Umwelt.

Als Vertreter der utopistischen Raumgestaltung mit Anspruch haben wir Günter Zamp Kelp eingeladen. Der ehemalige Professor an der Universität der Künste ist ein früheres Mitglied der Gruppe Haus-Rucker-Co (HRC), deren Wirken in Entwürfen von zeitgenössischen Architekten und Künstlern wie Tomás Saraceno, Olafur Eliasson oder raumlaborberlin, zitiert und weitergedacht wird.

In den Zuckerbonbon-runden und psychedelisch eingefärbten 1960er-Jahren fragten sich die österreichischen Architekten Laurids und Manfred Ortner, Zamp Kelp und der Maler Klaus Pinter, ob das Wohnen wirklich so sein muss, wie es die Praxis seit der Moderne suggeriert: sachlich, praktisch, kubisch. Sie ließen sich von der Raumfahrt inspirieren und erweiterten den Wohnraum durch blasenförmige Ausbuchtungen aus Plastik.

Haus-Rucker-Co, Ballon für Zwei, Apollogasse, Wien 1967; credit: Haus-Rucker-Co, Gerald Zugmann 

Nicht nur in den eigenen vier Wänden sollte die Wahrnehmung umkonstruiert werden. Die Gruppe entwickelte Objekte zur Erweiterung von Wahrnehmung und Kommunikation. Ihre interaktiven „Mind-Expander“ und pneumatischen Luft-Architekturen sorgten für internationales Aufsehen. Während andere auf die psychedelische Droge LSD setzten, konnten HRC-Adepten auf einem thronartigen Doppelsitz mit Berieselungshaube Platz nehmen und den transparenten Overall "Electric Skin" überstreifen, der seine Trägerin elektrisch auflud. Ebenso konnten sie eine Kollektion facettenaugiger Helme überstülpen, die so anheimelnde Namen wie "Fliegenkopf", "Blickzerstäuber" oder "Drizzler" trugen.

Allein ihre Materialwahl aus nicht-nachhaltigen Erdölderivaten überrascht beinahe. Die Gruppe entwickelte sich, parallel zum langen Marsch der Institutionen in ihrer Formsprache und indem sie neueste wissenschaftliche Ergebnisse in ihre Arbeit integrierten, stets weiter. So sagt Zamp Kelp: "In Wien war die Kunstszene nie sehr politisch. Als wir nach Deutschland kamen, war die Mondlandungseuphorie vorbei. Der SPIEGEL schrieb über Umweltzerstörung. Die Stimmung war viel ernster und kritischer. Und außerdem konnten wir das Euphorisch-Positive ja nicht bis in alle Ewigkeit kultivieren." 1971 überwölbten HRC das von Mies van der Rohe gebaute "Haus Lange" in Krefeld mit einer riesigen weißen Traglufthalle. Angesichts der zunehmenden Luftverschmutzung, so suggerierte die Überbauung, sei Leben bald nur noch in künstlichen Reservaten möglich. Es war Winter, aber durch die wärmere Luft im Inneren der Halle fingen im Garten die Rosen zu blühen an.

Mit dem Umzug erfolgte im Spätwerk auch eine Neuorientierung in der Form. Auffallend ist das harte Material – Stahl und Beton, wie noch auf dem documenta-Gelände zu sehen – sowie die Kanten und Winkel, mit denen die Gruppe inzwischen arbeitete. Sie feierten Abschied von der Utopie und damit auch von ihren „Mind-Expander-Programmen“, in denen es weniger ums Bauen denn um Prozesse ging. Es ging um eine Sensibilisierung für Probleme oder, ganz bildhaft, das Denken in Blasen, das sich ausdehnt, mehr sieht und Globales in den Blick nimmt.

 Günter Zamp Kelp; credit: Bettina Volke

1992 löste sich die Gruppe auf. Zamp Kelp baute später das Neanderthal Museum in Mettmann bei Düsseldorf (Zamp Kelp und Julius Krauss/Arno Brandlhuber waren dabei Architekten bis Entwurfsplanung). Laurids Ortner gründete mit seinem 1971 der Gruppe beigetretenen Bruder Manfred das Büro Ortner & Ortner Baukunst. Sie bauten etwa in Wien das Museumsquartier und haben sich mit der Realisierung von Shoppingcentern besonders weit vom ursprünglichen Haus-Rucker-Programm entfernt.

Umso interessanter erscheint uns die Gelegenheit, Zwiesprache zu halten, wie Wirklichkeit und Utopie im Bauen sich gegenseitige Impulse verleihen können. Ein Haus besteht eben nicht mehr nur aus vier Wänden und einem Dach, die einen gegen das Außen schützen. Sondern es ist eine Wohnmaschine in einer komplexen urbanen Biosphäre. Dies ist ganz im Sinne eines Zeitgenossen von Günter Zamp Kelp, dem neofuturistischen Architekten Buckminster Fuller. Zumindest im Geiste wird auch er auf der Konferenz sein.

http://zamp-kelp.de/

Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung von Haus Am Waldsee für die Bereitstellung der Bilder. 

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