#rp15-Speaker: Aral Balkan

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Aral Balkan; photo credit: Christina von Poser

Aral Balkan hat eine Mission. Der Designer und Social Entrepreneur entwickelt Alternativen abseits von Twitter, Facebook und Co. und bastelt für eine bessere Netz-Welt. Im Interview erklärt er, wie er das anstellen wird und warum Europa durch die Privatisierung der Demokratie in Gefahr ist.

Menschen miteinander zu vernetzen, das ist das Ziel des Engländers Aral Balkan – aber nicht im Sinne der großen Tech-Unternehmen, die mit Nutzerdaten ihren Profit garantieren und sich dabei zu Überwachungsorganen entwickelt haben. "Mainstream-Technologien sind heutzutage in erster Linie Spähprogramme, das wiederum bedeutet, dass unsere Rechte und Demokratie bedroht werden. Wir müssen unabhängige Technologien entwickeln, die unseren Privatsphäre und unsere Freiheiten schützen", schreibt der Aktivist auf seiner Website

Damit hat er sich eine große Herausforderung gesucht. Er will alternative Modelle zu den Giganten aus dem Silicon Valley schaffen und gründete etwa mit Heartbeat eine Plattform, die es ermöglicht, sich wirklich nur mit seinen Freunden auszutauschen. Neben einer unabhängigen Technologie ist es Balkan auch wichtig, dass die Nutzer die Kontrolle behalten. Das Ganze sollte dazu noch gut aussehen, denn um mit Apple und Co. mithalten zu können, spielt das Design der Infrastruktur eine bedeutende Rolle: Um erfolgreicher zu sein, müssen Open-Source-Angebote attraktiver gestaltet werden. Genau daran arbeitet Aral Balkan.

Im Vorfeld der re:publica erklärt er uns im Interview, was er da anstellen wird. Er spricht zu den Chancen von Technologie als Multiplikator und warum Europa durch die Privatisierung der Demokratie in Gefahr ist:

Du hast bereits im letzten Jahr als Gast die #rp14 besucht. Was gefällt dir an der Konferenz?
Angesichts der Größe hat mich der alternative Charakter positiv überrascht. Es war erfrischend, die Talks etwa von meinem Freund Mikko Hyppönen zu hören, die eben nicht das übliche "Business- Hurra", das technologisch-deterministische Silicon Valley Cheerleading abspulen, das es bei anderen Branchenveranstaltungen gibt – ohne dabei aber in [Schriftsteller Evgeny] Morozov-esque Verzweiflung zu verfallen. Die re:publica erscheint mir einzigartig, weil dort die Seele eines spannenden und unabhängigen, kritischen Events im Körper einer erfolgreichen internationalen Konferenz steckt. Die Kombination ist selten, und hat mir auch Hoffnung gegeben, dass das Aufbegehren gegen die Art von Malware, zu der sich Mainstream-Technologie mittlerweile entwickelt hat, längst keine isolierte Nischenangelegenheit mehr ist – sondern dass wir im Gegenteil gerade genug Schwung bekommen, um wirklich die Welt zu verändern.

Dieses Jahr ist das Motto der #rp15 Finding Europe. Wie schätzt du die aktuelle Lage auf unserem Heimatkontinent ein?
Wir sind an einem kritischen Punkt in Europa, und vor allem in der Europäischen Union, an dem wir uns ernsthaft fragen müssen: Wollen wir in einer "Korporatokratie" leben, oder in einer Demokratie? Und wenn es das letztere sein soll, müssen wir eine radikale Kurskorrektur vornehmen.

Wie sollte eine solche Kurskorrektur aussehen?
Was wir heute erleben, ist die Privatisierung (und damit der Verlust) des öffentlichen Raumes und der Gemeingüter in Europa. Wir sind auf dem besten Weg, uns eine dystopische Zukunft zu bauen, in der sich alle digitalen öffentlichen Räume in Privatbesitz befinden. Schon absehbar ist eine Privatisierung der Demokratie. Es gibt ein Wort für privatisierte Demokratie, man nennt das auch "Korporatokratie". Doch das ist das genaue Gegenteil von Demokratie.

Also ist die entscheidende Frage unserer Zeit: "In was für einem Europa wollen wir leben, wo wollen wir uns wiederfinden?" In einem demokratischen, selbstbestimmten Europa, das die Rechte der Bürger wahrt und eine gesunde Allmende fördert, oder in einer Korporatokratie, unter der Hegemonie eines digitalen Imperialismus, wo alle digitalisierten Lebensbereiche von internationalen Konzerninteressen gesteuert werden? Ich ziehe die erste Variante vor, und dafür kämpfe ich auch.

Die Kurskorrektur, die du angesprochen hast, zeigt sich auch in deinen Versuchen, Alternativen zu Online-Diensten wie Facebook und Google zu entwickeln. Sind wir auf einem guten Weg, was alternative Dienste angeht?
Ich bin zuversichtlich, dass wir das packen. Doch wir müssen den Kern des Problems überhaupt erstmal begreifen, das schiere Ausmaß. [Professor für Technikgeschichte] Melvin Kranzberg sagte einmal, "Technologie ist weder gut noch schlecht, noch neutral". Ich sehe Technologie eher als Multiplikator: Sie wird das vervielfachen, was man ihr füttert, ganz egal was es ist. Und bislang haben wir ihr eben eine ganze Menge Bullshit gefüttert, und bekommen nun Bullshit immer höherer Größenordnungen zurück. Es wird also Zeit, dass wir anfangen sie stattdessen mit etwas sinnvollerem zu füttern. Uns sollte klar werden, dass individuelle Freiheitsrechte und intakte Gemeingüter sich nicht gegenseitig ausschließen. Sie ergänzen sich vielmehr – das eine ist wesentlich für das Wohlergehen des jeweils anderen. Und dank der Multiplikator-Effekte der Technologie müssen wir nicht einmal altruistisch zu sein, um das umzusetzen. Wir brauchen lediglich eine bessere Definition von Egoismus – eine, in der für unser Handeln nicht nur unser unmittelbares, vielmehr unser langfristiges Wohlergehen entscheidend ist. Wir sollten jetzt anfangen, ganzheitliche Lösungen zu entwickeln, um Menschenrechte und Allmende zu fördern, um ein Umfeld zu schaffen, in dem die Menschheit ihr wahres Potenzial ausschöpfen kann. Das wäre eine der Menschheit würdigere Zukunft. 

aralbalkan.com/ 
@aral
ind.ie/

 

 

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